«Dass wieder Personen kontrolliert werden, tut weh»

Interview, 23. April 2024: Aargauer Zeitung; Patrick Marcolli

Der Schweizer Justizminister Beat Jans (SP) über seine Aussenpolitik, die Grenzkontrollen der Deutschen und das Verhältnis zu seiner Partei.

Herr Bundesrat Jans, Sie haben eben die Innenministerkonferenz der deutschsprachigen Länder in Basel beendet. Schon als Basler Regierungspräsident hatten Sie den Wunsch geäussert, Ihre Heimatstadt mehr ins Zentrum des grossen politischen Geschehens zu rücken. Hat sich jetzt ein Traum erfüllt?
Beat Jans: Tatsächlich ist mir das ein Anliegen. Es ist aber auch eines der Basler Regierung. Sie nennt das Gaststaatenpolitik und möchte die hervorragende Infrastruktur vermehrt für politische Konferenzen zur Verfügung stellen. Wir haben in Basel alles, was es braucht. Meine Amtskolleginnen und -kollegen waren begeistert von Organisation und Stadt.

… und von der geografischen Lage? Ihr Amtskollege aus Österreich hat Basel als zutiefst europäische Stadt bezeichnet.
Der offene Geist der Stadt wurde sehr geschätzt. Wir haben uns am Sonntag auf die Spuren von Erasmus von Rotterdam begeben – einem Menschen, der durch Migration bei uns in Basel gelandet ist und seine humanistischen Werte – die heutzutage wieder sehr nötig sind – von hier aus verbreiten konnte.

Also ist dank Ihnen in Basel noch mit vielen weiteren internationalen Konferenzen zu rechnen?
Wir dürfen natürlich den Kanton damit nicht überfordern. Der Sicherheitsaufwand ist jeweils sehr gross. Übrigens schätzt auch mein Kollege Ignazio Cassis Basel sehr. Er war vor kurzem hier zur Vorbereitung der Ukraine-Friedenskonferenz.

Am Ende dieser Konferenz mit Ihren Kollegen war aber auch klar: Deutschland hält an den Grenzkontrollen zur Schweiz fest. Das muss gerade Sie als Europäer im Geist sehr schmerzen.
Für die Region Basel sind die systematischen Kontrollen in Tram und Zug sicher unangenehm. Immerhin führt das aber nicht zu Staus oder Verspätungen. Wir haben keinen Grund, diese Kontrollen als Affront anzusehen. Kommt hinzu, dass wir auf Schweizer Seite – im Unterschied zu unseren Nachbarn – an den Binnengrenzen Warenkontrollen durchführen und dabei auch Pässe kontrollieren. Wir haben also schon viel länger eine ähnlich hohe Kontrolldichte. Zudem haben sich Deutschland und Österreich bei den jüngsten Fluchtbewegungen unglaublich solidarisch gezeigt. Aber ja: Es ist unschön, dass nun trotz Schengen wieder Personen kontrolliert werden. Das tut weh.

Sie stammen aus einer sehr europafreundlichen Region und gehörten einem sehr europafreundlichen Gremium an. Nun sind Sie Mitglied des Bundesrats, der in dieser Sache doch sehr anders tickt. Fühlen Sie sich überhaupt wohl?
Man kennt meine Herkunft und meine Geschichte. Aber jetzt sind wir zusammen unterwegs und müssen ein gutes Ergebnis hinbekommen in den Verhandlungen mit der EU und gleichzeitig unsere Begleitmassnahmen verabschieden, die bei der Bevölkerung auch Sicherheit und Vertrauen schaffen. Zum Beispiel bei der Einwanderung und den Sozialsystemen oder auch dem Schutz der Schweizer Löhne vor Dumping.

Für Basel ist das Forschungsprogramm Horizon mit der EU ein Herzensanliegen. Es liegt seit dem Scheitern des Rahmenabkommens auf Eis. Wie steht es darum?
Die Botschaft, dass wir bei Horizon dabei sein müssen, ist überall angekommen. Aber das weiss natürlich auch die EU, die das wiederum bei Verhandlungen in die Waagschale werfen kann. Noch ist die Einigung in diesem Bereich nicht im Trockenen.

Sie haben in Ihren ersten Monaten im Amt ein hohes Tempo angeschlagen, besonders im Asylwesen. Nicht nur zur Freude Ihrer eigenen Partei.
Ich bekomme von der Parteibasis, aber auch aus der Fraktion sehr gute Rückmeldungen. Also mache ich mir eigentlich keine grossen Sorgen.

Die Parteispitze sieht es etwas anders. Cédric Wermuth sagt, er habe «strategische Differenzen» mit Ihnen.
Was er damit sagen will: Wir haben unterschiedliche Rollen.

Auch die SVP hat allmählich, nach anfänglicher Zustimmung, nicht mehr so viel Freude an Ihnen.
Wissen Sie: Die SVP hätte – wie übrigens auch die FDP – mein Departement übernehmen können nach der Bundesratswahl. Sie haben es mir überlassen und sind nun sehr bemüht zu zeigen, dass sie es doch besser machen würden (lacht).

Haben Sie sich nun mit dem Departement angefreundet?
Mehr als das. Und ich finde es ausgesprochen interessant und vielfältig. Denn es hat Brennpunktthemen wie Asyl, grosse Gesellschaftsthemen wie die Migration, aber auch die künstliche Intelligenz, an deren Regulierung wir zu arbeiten beginnen.

Das Asylwesen sticht mit seiner aktuellen Brisanz heraus. Ihr Ex-Parteikollege Mario Fehr, Sicherheitsdirektor des Kantons Zürich, hat Ihnen am Wochenende vorgeworfen, bei den Immigranten aus Eritrea, die ihre politischen Konflikte hierzulande zum Teil gewalttätig austragen, untätig zu sein. Was antworten Sie ihm?
Er ist als Regierungsrat für die öffentliche Sicherheit in seinem Kanton verantwortlich. Wir können jemandem die Aufenthaltsbewilligung nur entziehen, wenn eine strafrechtliche Verurteilung vorliegt. Bis jetzt gibt es allerdings keine rechtskräftigen Urteile. Aber selbstverständlich ist die von Ihnen geschilderte Problematik für uns eine Herausforderung auf mehreren Ebenen. Zum Beispiel auch, was die Versammlungsfreiheit betrifft oder ein mögliches Verbot von politischen Veranstaltungen. Würden wir beispielsweise eine Pro-Trump-Demo und die entsprechende Gegendemo verbieten?

Beim von Ihnen propagierten 24-Stunden-Verfahren für Asylsuchende aus Ländern, die eine Anerkennungsquote von lediglich einem Prozent haben, also meist aus Maghrebstaaten, werden Sie von linker Seite kritisiert. Man hat Angst um die Sorgfältigkeit der Abklärungen.
Diese Angst kann ich nehmen. Es geht lediglich um eine Beschleunigung des Verfahrens. Die Verfahrensschritte sind dieselben wie im normalen Verfahren – von der medizinischen Abklärung bis hin zur Anhörung führen wir alles in 24 Stunden durch. Wir hoffen, dass die Menschen in diesen Staaten einsehen, dass es sinnlos ist, diese weite Reise zu uns auf sich zu nehmen. Mit dem 24-Stunden-Verfahren wollen wir auch grundsätzlich unsere Asylstrukturen entlasten, damit wir mehr Ressourcen haben für Menschen, die wirklich Schutz brauchen.

Kehren wir nochmals zu Ihrer Herkunftsregion, der Nordwestschweiz, zurück. Man beklagt sich hier ja seit Jahren, und auch Sie haben sich früher schon in diese Richtung geäussert, über zu wenig Einfluss in Bundesbern zu verfügen. Wie sehen Sie das denn heute als Bundesrat?
Ich bin jetzt die personifizierte Hoffnung, dass die Schweiz die Region Basel endlich wieder wahrnimmt. Das versuche ich nach bestem Wissen und Gewissen zu tun. Aber das ist mir schon im Nationalrat aufgefallen oder in der Kantonsdirektorenkonferenz: Es haben alle ein wenig das Gefühl, in Bern zu kurz zu kommen. Sogar die Zürcher (lacht). Aber es ist schon so: Für Basel mit seiner enormen ökonomischen Bedeutung war die 50-Jahre-Absenz in der Landesregierung deutlich zu lang.

Im vergangenen Sommer haben Sie mir gegenüber einmal beiläufig die Sorge geäussert, dass Sie vor dem Dasein als Bundesrat grossen Respekt haben. Unter anderem deshalb, weil Ihnen der Personenkult um Alain Berset völlig fremd sei. Wie steht es heute um diese Angst?
Ich glaube, dass es mir bisher gelungen ist, weiterhin ein normales Leben zu führen. Im Zug zu sitzen, einfach so, oder unerkannt an ein Fussballspiel zu gehen. Den Kontakt zur Bevölkerung habe ich sicher nicht verloren. Abgesehen davon: Ich finde, dass Alain Berset eine sehr gute Arbeit gemacht hat. Er stand der Bevölkerung immer Rede und Antwort, egal, wie gross der Druck auf ihn war.

Sie wohnen im Zentrum Kleinbasels, als einziger Bundesrat in einem städtischen Zentrum und durchaus auch an einem sozialen Brennpunkt. Können Sie sich noch frei bewegen?
Ja, das kann ich. Die Menschen sind freundlich und grüssen mich, halten auch eine gewisse gesunde Distanz. Das finde ich sehr angenehm. In der Nachbarschaft, wo man mich kennt, hat sich überhaupt nichts geändert. Es ist wie früher.

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